"War gar nicht so schlimm" - Dave MacLeod im Exklusiv-Interview
Dave, wann hast Du eigentlich angefangen zu klettern?
Im Alter von 15 Jahren, das war 1993. Ich lebte damals in Glasgow.
Und wann hast Du Dich an Deine erste Trad-Route(*) rangetraut?
An meinem ersten Klettertag. Obwohl, nicht ganz, ich bin sie solo geklettert. In Schottland gab es damals ausschließlich Trad-Klettereien. Ich war alleine am Dumbarton Rock, die Route „Plunge“ sah irgendwie gut aus und so nahm es seinen Lauf. Ich bin dreimal bis zum letzten Zug und wieder hinunter geklettert, weil ich nicht erkennen konnte, wie ich auf den Gipfel komme. Letztes Jahr hab ich das Ganze anlässlich der Commonwealth Games mit dem Queens Baton (ein Staffelstab) wiederholt. Wieder solo…
Was ist Dein persönliches Lieblingsgebiet in den Highlands?
Es gibt in Schottland so viele wunderschöne Plätze zum Klettern, aber Glen Nevis ist wohl so etwas wie mein Lieblingsgebiet. Ambiente und Felsqualität in diesem Tal sind unglaublich imposant. Sollte ich jemals irgendwo auf der Welt eine bessere Kletterei als in meiner Route „Fight the Feeling“ (9a) finden, würde mich das schon sehr wundern. Schottland bietet eine einzigartige Vielfalt von Landschaft und Fels in den verschiedenen Landesteilen. Etwas Vergleichbares habe ich bisher noch nicht entdeckt.
Deine Routen zeichnen sich oft durch haarsträubende Absicherungs-Möglichkeiten aus, Du hast die Messlatte beim Tradklettern nochmals gewaltig angehoben. Schläfst Du eigentlich noch gut, nach Routen wie „Rhapsody“?
Wir klettern fast ausschließlich in diesem Stil, dadurch haben wir uns wohl an den häufigen Umgang mit spärlicher Absicherung gewöhnt. Die Schwierigkeit liegt eher in der enormen Mühe, Hingabe und Geduld, die bei der Erstbegehung harter Trad-Routen erforderlich ist. Es ist eine Menge Geschick nötig und es genügt sicher nicht, mit auftrainierten Kletterhallenfingern in eine solche Route einzusteigen.
Wie kann ich meine Psyche sinnvoll trainieren?
Mentale Stärke ist ein großes Thema, die sich aus sehr vielen Komponenten und Fähigkeiten zusammensetzt. Aber im Allgemeinen basiert sie auf drei Dingen: Zuerst auf der Einstellung, Dich nicht vor einem möglichen Versagen zu fürchten, sondern davor, es nicht probiert zu haben. Zweitens hilft es sehr, wenn die Motivation die Angst überwiegt und zuletzt sollte man sich taktisches Denken aneignen. Kletterer richten ihren Fokus häufig auf körperliche Kraft und Fitness, vernachlässigen aber die Eigenschaft, während des Kletterns die richtigen Entscheidungen zu treffen, auf die es bei Onsight- und Rotpunktbegehungen meist ankommt. Mangelnde Taktik untergräbt schnell jegliche Stärke.
Die letzten großen Projekte waren am Eiger und an der westlichen Zinne. Ist denn zukünftig noch mehr an den großen alpinen Wänden von Dir zu erwarten?
Ja, ich möchte bald nach Baffin Island, dann wieder nach Patagonien und zukünftig auch wieder an die Wände der Alpen. Außerdem gefällt mir Norwegen sehr gut, dort hab ich noch einiges vor.
Wann hattest Du die Idee, für dieses große Projekt an der westlichen Zinne?
Ich wiederholte Alex Hubers Route „Bellavista“ 2013. Beide, diese und „Panaroma“, durchqueren das riesige Dach, das „Amphitheater“ von der linken Seite. Die Herausforderung, zu sehen, ob eine Durchquerung von der rechten Seite möglich ist, war da naheliegend. Ich liebe es, mich an so anspruchsvollen, herausfordernden Routen zu versuchen, weil ich genau weiß, ich werde dort eine wahnsinnig gute Zeit haben. Auch wenn es sich als unmöglich herausstellt. Tatsächlich war die Route aber gar nicht so hart, wie ich erwartet hatte und ich konnte sie recht schnell durchsteigen. Dem vielen schlechten Wetter auf unserem Trip zum Trotz.
Hast Du einen Felsfavoriten? Kalkstein, Sandstein, Granit?
Der Torridonische Sandstein oder der wellige Schiefer im Glen Nevis sind ein echter Traum. Den Basalt vom Dumbarton Rock schätze ich auch sehr. Er ist qualitativ sehr gut und bietet technische Kletterei vom Allerfeinsten. Ein Hochgenuß!
Ganz nebenbei schreibst Du sehr erfolgreich Bücher. Dein Neuestes, „Make or Break“, handelt von Kletterverletzungen. Warum Kletterverletzungen?
Dieses Buch musste einfach geschrieben werden, denn fast alle Kletterer sind irgendwann mal verletzt. Der Titel „Make or Break“ ist aus der Idee entstanden, dass nicht Dein Training oder Talent, sondern Verletzungen früher oder später über Deine Leistungsfähigkeit entscheiden. Es gibt nur vereinzelte Informationen darüber, wie man Kletterverletzungen behandelt, aber die meisten sind veraltet oder unvollständig. Noch wichtiger ist aber, es gibt bisher fast keine Anweisungen für Kletterer, wie sie ihre Kletterroutine ändern können, um derartige Verletzungen zu vermeiden. Ich bin mir sicher, hätte ich die Informationen, die ich in dem Buch zusammengetragen habe gekannt, als ich jünger war, könnte ich heute viel besser klettern.
Noch besser? Aha. Warst Du selbst eigentlich oft verletzt?
Ja, in zwanzig Jahren Training ist eine ordentliche Portion zusammen gekommen. Ich war verletzt an den Fingern, Handgelenken, Ellbogen, Knien, Knöcheln und Füßen. Die Liste ist ziemlich lang…
Deine schlimmste Verletzung?
Ich hab mir schon beide Knöchel schwer verletzt, durch Bodenstürze in schwer abzusichernden Trad Routen. Aber die übelste Verletzung habe ich mir nach einer 6b-Sportkletterroute geholt. Das Seil beim Ablassen war zu kurz. Ich beschädigte mir den Knorpel meines Knöchelgelenkes und der wird aktuell das zweite Mal operiert (dieses Mal in München).
Dave, letzte Frage: Hast Du noch einen kurzen, einfachen aber effektiven Trainings-Tipp für unsere Leser?
Du bekommst sogar zwei. Einen fürs Training und einen zur Vermeidung von Verletzungen.
1. Die beste Übung für jede Sportart ist wohl, auf Deine aktuellen Gewohnheiten zu achten. Wenn ich Kletterer trainiere, erkläre ich ihnen immer wieder, sie sollten sich weniger Gedanken um die kleinen Details machen. Wichtiger ist es, im Leben und beim Klettern die eigenen Schwächen zu erkennen und daran zu arbeiten. Zum Beispiel nicht immer mit einem Partner zu klettern, der für einen vorsteigt und dann selbst nur Toprope zu klettern. So wirst Du niemals ernsthaft weiter kommen.
2. Sehnen mögen keine Pausen oder Veränderungen. Dieses Mantra ist die Haupterkenntnis von zwanzig Jahren Sehnenforschung. Wenn Du längere Kletterpausen machst, solltest Du trotzdem regelmäßig Finger und Ellbogen trainieren, damit sie nicht geschwächt und verletzungsanfällig werden. Wenn Du dich dennoch verletzt, ist der einzige Weg, Sehnen wieder zu heilen, sie weiter zu belasten. Natürlich in einem Bereich, der nicht alles noch schlimmer macht.
Wow, dann kann ja nichts mehr schiefgehen! Vielen Dank und wir freuen uns auf Deine nächsten Unternehmungen.
(*)Trad-Route: Kletterroute, die nur mit mobilen Sicherungsmitteln (Keile, Schlingen, Friends) begangen wird.