0 0

Der Hütten-Knigge

Hüttentouren sind toll. Sie holen Dich komplett aus Deinem Alltag und katapultieren Dich spätestens mit der ersten Übernachtung in eine andere Welt. Eine Welt ohne Haushalt und Hausaufgaben, in der Du Dich auf das Wesentliche konzentrieren kannst: Ausruhen und Auftanken. Berghütten sind komplexe Systeme mit einem besonderen Flow, auf den Du bei Deiner ersten Hüttenübernachtung mit Hilfe unserer Tipps sofort aufspringen kannst.

von SPORT SCHUSTER

Bild einer Hütte vor den Drei Zinnen in den Dolomiten unter dunklen Wolken

Was Du vorab beachten solltest

Auch wenn Du Dir beim Wandern Leichtigkeit und Spontanität wünschst, geht es leider nicht ohne ein kleines bisschen Planung. Vor dem Losgehen überlegst Du, was Du in Deinen Rucksack packst und welche Tour Du gehst. Die Übernachtungen solltest Du im Vorraus buchen. Im Idealfall schaust Du dazu auf den Webseiten der Hütten bzw. bei den Buchungsportalen des Alpenvereins bzw auf Plattformen wie huetten-holiday oder alpsonline, ob Schlafplätze frei sind. Wenn dies nicht der Fall ist, musst Du Deine Route eventuell umplanen oder auf einen anderen Zeitraum verschieben. Wer nicht reserviert, wird nicht zwingend weiter geschickt, läuft aber Gefahr, in einem Notlager oder auf einer Matratze am Boden der Stube zu schlafen - was eine eher unbequeme und kurze Nacht bedeutet.

Im Buchungsportal wird abgefragt, ob Du im Matratzenlager oder im Bettenlager übernachten willst. Matratzenlager sind die Räume, an denen Matratze neben Matratze liegt, in größeren Hütten auch zwei- oder sogar drei Stockbetten hoch. Hier wirst Du keine Privatsphäre haben und sehr wahrscheinlich wenig Platz und jemand Fremden neben Dir. Möchtest Du mehr Raum für Dich, dann buche Zimmerlager oder Mehrbettzimmer, dort gibt es in der Regel ein Bett pro Gast. Wenn ihr als Gruppe unterwegs seid, könnt ihr versuchen, ein Zimmer für euch zu bekommen - ruf evtl. in der Hütte an und frage nach, ob dies möglich ist.

Beim Buchen kannst Du oft auch angeben, ob Du spezielle Nahrungsmittelunverträglichkeiten hast und den Wirtsleuten die Chance geben, darauf einzugehen. Erwarte aber nicht, dass extra für Dich gekocht wird und packe z.B. bei Zöliakie die Lebensmittel ein, die Du essen kannst.

Ankommen

Meistens ist die Tagesetappe einer Mehrtageswanderung irgendwann am Nachmittag geschafft und Du kannst alle Fünfe gerade sein lassen. Es kann sein, dass in der Hütte, in der Du die Nacht verbringen willst, noch das Nachmittagsgeschäft mit Tagesbesuchern voll im Gang und das Hüttenpersonal dementsprechend eingespannt ist. Dann setz Dich erstmal hin, bestell Dir ein Getränk und atme durch. Dein reserviertes Bett läuft nicht davon und ein entspannter Hüttenwirt ist ein gut gelaunter Hüttenwirt. Du kannst ja beim Kuchen bestellen schonmal sagen, dass Du reserviert hast, dann soll das Personal selbst beurteilen, wann es Zeit für Deinen Check In hat.

Einziehen

Für den Schlafbereich von Berghütten gilt: Sie sind Dreckschuh-freie Zone. Lass deine Bergschuhe (und die Wanderstöcke) im dafür vorgesehenen Schuhraum und betrete die oberen Etagen nur mit den Hüttenschuhen, die du selbst mitgebracht hast oder den Schlappen, die evtl. im Schuhraum zur Verfügung stehen.

Nach Deiner bisweilen eiskalten Katzenwäsche im eventuell nicht nach Geschlechtern getrennten Waschraum mit Deinem Mini-kleinen Seifenstück, das Du statt einer großen Flasche Duschgel dabei hast, hängst Du Deine feuchte Kleidung im Trockenraum auf. Falls Duschen vorhanden sind, kaufst Du eine Duschmarke, mit der Du wenige Minuten warmes Wasser hast, aber bedenke dabei immer, dass das Wasser eventuell einen weiten Weg zurücklegen muss, bis es aus dem Duschkopf tröpfeln kann. Wasser ist in den Bergen ein sehr kostbares Gut.

Niederlassen

Wenn du im Schlaflager zwischen verschiedenen Liegeplätzen auswählen kannst, überlege Dir, wo Du strategisch günstig schlafen willst. Wenn Du Nachts aufs Klo musst: Nah an der Tür und im Stockbett eher unten. Wenn Du Probleme mit Luftzug hast: Weg vom Fenster. Wenn Du sehr früh raus musst: Unten und nah an der Tür. In letzterem Fall versuche, Deinen Rucksack relativ fertig gepackt bzw. alle Deine Siebensachen griffbereit zu haben, sodass Du morgens schnell aus dem Raum schlüpfen kannst, ohne alle anderen zu wecken.

Auf Hütten schlafen bringt mit sich, Loslassen zu können. Schuhe im Schuhraum, Kleidung im Trockenraum, den Rucksack irgendwo im Schlaflager, falls in der Nähe der eigenen Matratze kein Platz dafür ist - merke Dir, wo Deine Sachen sind und habe im Idealfall Wertsachen immer bei Dir.

Akkus laden

Versuche, Deine Energiespeicher gut zu füllen, Du brauchst am nächsten Tag Kraft und Ausdauer für Deine nächste Tourenetappe. Iss ordentlich und trinke (nicht nur Alkoholisches). Die Hüttenleute verwenden sehr viel Energie darauf, oft nur mit Hubschraubern und schwieriger Logistik, Essen und Getränke bereit zu stellen. Dies erklärt auch die höheren Essens- und Getränkepreise. Als Dank für den Aufwand verbringst Du den Abend nicht nur mit Deiner eigenen Wasserflasche und den Resten Deiner Brotzeit, sondern bestellst Dein Abendessen in der Hütte. Ja, vielleicht ist die Speisekarte spartanisch, aber Du kannst davon ausgehen, dass die Wirte sich große Mühe geben, im Rahmen ihrer Möglichkeiten leckeres und vielseitiges Essen zu servieren.

Für die Energiespeicher Deiner Geräte hast Du im Idealfall eine Powerbank dabei und bist unabhängig vom Hüttenstrom. Der wird nämlich für Spülmaschine und Nachtbeleuchtung gebraucht und ist nicht dazu gedacht, Smartphones und E-Bike-Akkus zu laden.

Der gemütliche Abend

Sei pünktlich beim Abendessen, der Ablauf in einer Hüttenküche ist genau durchgeplant und da ist jeder Querschläger eine Störung im System. Wenn Du Dir sowohl Deine Zahnbürste als auch Deine Stirnlampe mit in den Speiseraum nimmst, musst Du diejenigen nicht mehr stören, die früh ins Bett gehen.

Hüttenabende sind perfekt für lange Gespräche und ausdauernde Mau Mau Sessions. Genieße die besondere Stimmung, gehe nochmal vor die Tür und staune über den klaren Sternenhimmel und lege Dich spätestens zur Hüttenruhe - in den meisten Hütten ist dies um 22 Uhr - hin. Hüttenschlaf ist nicht zwingend so erholsam wie der zu Hause. Denn Du liegst mit vielen anderen Menschen im Lager bzw. bist von diesen nur durch eine dünne Wand getrennt. Und Menschen pupsen, schnarchen und schwitzen.  

Die erholsame Nacht

Seit dieser Sommersaison dürfen die Alpenvereinshütten wieder Wolldecken bereit stellen. Du musst also keinen leichten Daunenschlafsack mehr mitbringen, sondern es reicht ein dünner Hüttenschlafsack aus Baumwolle/Seide, wie vor Corona. Diesen hab aber unbedingt dabei! Bettlaken und Decken werden in der Regel nur sehr selten gewaschen (auch, weil sie dafür ins Tal transportiert werden müssen) und Du willst sicherlich nicht in den Ausdünstungen Deiner Vor-Schläfer:innen liegen, oder? Wer weiß, wer da schon alles aufs Kissen gesabbert hat.

Falls Du Nachts raus musst hab Deine Stirnlampe griffbereit, es gibt kaum Nervigeres, als mehrmals von hell aufleuchtender  Deckenbeleuchtung geweckt zu werden. Und sei leise! Leise heißt, auch nicht noch ewig im Flüsterton Einschlafgespräche zu führen. Wenn Du so großen Redebedarf hast, buche Dir falls vorhanden ein Zimmer, in dem Du mit Deinen Ratschfreund*innen allein bist. Und: Auf die Wanderung angestoßen wird in der Gaststube, nicht im Schlafraum!

Morgengrauen

Wie schon am Abend gilt auch am Morgen ein strenger Zeitplan. Es gibt Frühstück, wenn es Frühstück gibt. Nicht vorher und erst recht nicht danach. Falls Du wirklich viel zeitiger los willst, besprich das am Vorabend mit dem Personal, einige Hütten - vor allem die mit “großen” Gipfelzielen in der Nähe - stellen Dir dann ein Thermofrühstück hin. Trödle nach dem Frühstück nicht rum und bezahle Deine Zeche vom Vorabend und die Brotzeit, die Du Dir evtl. beim Frühstück geschmiert hast (nicht überall geht das mit EC-Karte). In der Hütte werden nämlich recht bald die ersten Tagesgäste erwartet, und bis dahin muss noch jede Menge erledigt werden. Packe Deinen Rucksack, hole Dir Deine Bergschuhe und lass dem Personal und seinen Putzlappen freie Bahn. Wenn Du nicht gleich los willst, findet sich sicher auf der Terrasse noch ein gemütliches Plätzchen, um den Frühstückskaffee zu verdauen. Und dann: Los in neue Abenteuer!

Auch wenn dies alles vielleicht kompliziert und einschränkend klingt - nach wenigen Nächten im Bettenlager ist Dir bekannt, wohin der Hase läuft. Und allerspätestens dann weißt Du die Hüttenspartanität zu schätzen, erwartest kein Hotelbett und keine mehrseitige Speisekarte und kannst Dich mit den angenehmen Seiten des Hüttenwanderns arrangieren: Atemberaubende Aussichten, Zeit für ausgiebige Gespräche und vor allem: Aufs Wesentliche reduzierte Tage, für dich sich jede auch noch so unbequeme Nacht lohnt.

GAST AUTORIN // Stefanie Ramb

Stefanie kam zum Kinderskikurs hauptsächlich deswegen mit, weil es Mittags in der Hütte Pommes gab. Später dann endete fast jeder Versuch, eine Sportart ernsthaft auszuüben, beim Orthopäden und in Gips. Deswegen ist es ein Wunder, dass sie heute fast verletzungsfrei durch ein Leben kommt, in dem die Berge und der Sport eine entscheidende Rolle spielen. Stefanie hat aber in ihrem Arbeitsalltag als Autorin, (Hörspiel)regisseurin und Schneiderin auch ausreichend Gelegenheit zur Regeneration im Bürostuhl.